
Auf den Internationalen Filmfestspielen in Berlin feierte der Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“ von Regisseurin Martina Priessner seine Premiere. Die Aufführung fand am 16. Februar 2025 statt und widmet sich dem schrecklichen rassistischen Brandanschlag, der am 23. November 1992 in Mölln, Schleswig-Holstein, verübt wurde. Bei diesem Angriff starben Bahide Arslan (51 Jahre) sowie ihre Enkelinnen Ayşe Yilmaz (14 Jahre) und Yeliz Arslan (10 Jahre). Ibrahim Arslan, einer der wenigen Überlebenden, schilderte in Anwesenheit der Regisseurin die Erlebnisse seiner Familie, die den Brandanschlag nicht nur physisch, sondern auch emotional tief getroffen hat.
Ibrahim Arslan und sein Bruder Namik überlebten den Anschlag, bei dem ihre Schwester, Cousine und Großmutter getötet wurden. Der Film thematisiert die Beileidsbriefe, die die Familie Arslan erst 2019 erhielt – mehr als 25 Jahre nach der Tat. Der Zuschauer wird mit der Frage konfrontiert, warum diese Zuschriften über so lange Zeit unbemerkt blieben und wer sie verfasst hat. Priessner betont, dass viele Stimmen ungehört geblieben sind und Rassismus die Betroffenen weiterhin verfolgt.
Rassistische Gewalt und deren Folgen
Die Möllner Brandanschläge waren der erste rassistisch motivierte Anschlag mit Todesopfern im wiedervereinten Deutschland und bedeuteten einen Wendepunkt in der Geschichte des Rechtsextremismus in Deutschland. Am gleichen Abend wie der Anschlag wurden in Mölln zwei Häuser, die von türkischstämmigen Familien bewohnt wurden, angegriffen. Insgesamt wurden drei Menschen getötet und neun weitere verletzt. Die Täter gehörten zur Skinhead-Szene und wurden wenige Tage nach der Tat festgenommen.
Die Reaktion auf die rassistische Gewalt war bemerkenswert. Bei der Trauerfeier in Hamburg nahmen über 10.000 Menschen teil, und weltweit fanden Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus statt. Diese Tragödien geschahen nicht im luftleeren Raum; sie waren Teil einer größeren Welle von rechtsextremer Gewalt, bei der zwischen 1990 und 1992 in Deutschland deutlich ansteigende Fallzahlen zu verzeichnen waren. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung wurden im Jahr 1992 insgesamt 27 Menschen durch rechtsextreme Gewalttaten getötet.
Langfristige Auswirkungen und gegenwärtige Herausforderungen
Die Stadt Mölln gedenkt jährlich der Opfer der Brandanschläge. Im Jahr 2013 initiierte Ibrahim Arslan die „Möllner Rede im Exil“, um die Perspektiven der Opfer zu stärken. Anlässlich des 30. Jahrestages der Anschläge fand 2022 außerdem eine Gedenkveranstaltung statt, die die Erinnerung an die Tragödie wachhält.
In der heutigen Diskussion um Rassismus ist der Kontext der Möllner Anschläge erheblich, da aktuelle Studien zeigen, dass Rassismus in Deutschland weiterhin weit verbreitet ist. Rund 90 Prozent der Bevölkerung erkennen Rassismus an. Die Bundesregierung plant, die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus verstärkt in ihren Fokus zu rücken. Bundesfamilienministerin Lisa Paus betont die Wichtigkeit des Engagements aus der Zivilgesellschaft und plant Maßnahmen zur Stärkung von Betroffenengruppen.
In Berlin erhielt der Film viel Beifall von den Familien der Opfer und anderen Unterstützern. Möllns Bürgermeister Ingo Schäper, der aufgrund von Terminüberschneidungen nicht zur Premiere kommen konnte, äußerte, dass er den Film erst nach Sichtung bewerten möchte. Er übergab am 6. Oktober 2023 die restlichen Beileidsbriefe an die Familie, konnte jedoch zu den Gründen der langen Archivierung keine klaren Auskünfte geben.
Der Film wird auf der Berlinale gleich viermal gezeigt und ist für einen bundesweiten Kinostart im Herbst sowie eine Vorführung in Mölln geplant. Priessner beschreibt den Anschlag als Zäsur in ihrem Leben und versucht, das Bewusstsein für die fortwährende Problematik des Rassismus zu schärfen, um die Geschichten der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen.