
Immer mehr Menschen in Deutschland kämpfen mit psychischen Erkrankungen und warten dringend auf Therapieplätze. In Bad Oldesloe ist die Praxis von Psychotherapeutin Dorethee Dechmann vollständig ausgelastet. Sie hat ihre Warteliste auf acht Personen beschränkt und muss immer wieder Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen abweisen. Der Grund dafür ist nicht allein die hohe Nachfrage, sondern auch die veraltete Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH), die auf den 1990er Jahren basiert. Diese Planung macht es nahezu unmöglich, neue Therapieplätze zu schaffen, obwohl die Zahl der psychisch erkrankten Personen in der Region stetig wächst. Laut aktueller Zahlen waren im Jahr 2022 rund 25.400 Menschen im Kreis Stormarn wegen Depressionen in ärztlicher Behandlung, was 11,4 Prozent der Bevölkerung entspricht, während viele weiterhin auf einen Therapieplatz warten müssen. ln-online.de berichtet, dass Dechmann vor zwölf Jahren eine Niederlassung von der KVSH erhielt und somit viel Erfahrung im Kostenerstattungsverfahren hat.
Eine zentrale Herausforderung ist die Bedarfsplanung, die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geregelt wird. Diese Planung stammt aus dem Jahr 1999 und legt fest, dass neue Kassensitze für Therapeuten nur bei frei werdenden Sitzen vergeben werden. Dies hat zur Folge, dass in ländlichen Bereichen, wo der Bedarf möglicherweise höher ist, nicht genügend Therapieplätze zur Verfügung stehen. Trotz der Erkenntnisse, dass es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass Menschen in ländlichen Regionen seltener psychisch erkranken, bleibt die Verteilung der Kassensitze ein ungelöstes Problem. Die zeitliche Prognose für die Wartezeiten wird unterschiedlich beurteilt. Der G-BA gibt an, dass die maximale Wartezeit nur 15 Tage beträgt, während die Bundespsychotherapeutenkammer diese Einschätzung als methodisch schwach kritisiert. wdr.de informiert darüber, dass der G-BA nicht die Anzahl der Kassensitze als Hauptproblem sieht, sondern deren Verteilung.
Bedarf und Reformbedarf
Mit nur 83 niedergelassenen Psychotherapeuten auf etwa 52,5 Stellen in Stormarn ist die Region laut KVSH als überversorgt eingestuft, was neue Niederlassungen ausschließt. Dorethee Dechmann fordert eine umfassende Reform der Bedarfsplanung, um den gestiegenen Bedarf an Therapieplätzen zu decken. Sie weist auch auf die Möglichkeit digitaler Gesundheitsanwendungen hin, die jedoch nicht die persönliche Therapie ersetzen können. „Die Motivation für die Nutzung von Apps fehlt oft“, so Dechmann, die zusätzlich empfiehlt, dass Betroffene sich in ihrem Umfeld verständigen und nicht isoliert bleiben sollen.
Die Backlog-Situation wird durch Petitionen unterstützt, die das derzeitige System kritisieren und auf Reformen drängen. Insbesondere die regierende Ampelkoalition hatte im Koalitionsvertrag angekündigt, die Wartezeiten signifikant zu reduzieren. Bislang sind jedoch keine nennenswerten Fortschritte zu verzeichnen, wie im Bundestag erwähnt wird. Die Realität bleibt, dass sowohl neue Therapeuten als auch psychisch Erkrankte unter den restriktiven Bedingungen leiden, die durch eine nicht angepasste Bedarfsplanung entstehen.